
Katja Ebert-Krüdener –
Malerin, Physikerin, taghelle Mystikerin
Dirk Koppelberg
„Bedeuten ist nicht gleich Wortbedeutung. Mein Bild bedeutet etwas, was nur das Bild zeigt. Es deutet auf etwas, was sich nicht mit dem Bereich der Worte deckt.“
Johannes Geccelli
Katja Ebert-Krüdener ist Malerin, Physikerin und taghelle Mystikerin. Als Malerin ist sie an Farbe interessiert, als Physikerin an aussagekräftigen Experimenten und als „taghelle Mystikerin“ (Musil) an solchen Erfahrungen, die sich angemessener sprachlicher Formulierung entziehen. Diese drei Interessen hängen eng miteinander zusammen. Wie?
Ebert-Krüdener ist Malerin. Sie malt nicht nur mit Farbe – sie malt die Farbe. Das klingt trivial, ist es aber nicht, denn für eine bildende Künstlerin eröffnen sich heute verschiedene Möglichkeiten. Es ist nicht zwingend, nur mit Farbe zu malen - auch Ebert-Krüdener tut das nicht nur, da sie auch Versuche mit digitalen Graphiken unternimmt, die Fragestellungen von Bridget Riley aufnehmen, modifizieren und fortführen -, und es ist noch weniger zwingend, sich in der Malerei ganz und gar der Erkundung der Möglichkeiten von Farbe zu widmen. Katja Ebert-Krüdener hat sich genau dafür entschieden; der Gegenstand ihrer Malerei ist die mit deren genuinen Mitteln betriebene Untersuchung der Farbe und derjenigen Erfahrungen, die vielleicht nicht nur, aber auf jeden Fall prägnant durch Farbe zum Ausdruck gebracht werden können.
Ebert-Krüdener ist Physikerin. Der beispiellose wissenschaftliche Erfolg der Physik seit Beginn der Neuzeit hat insbesondere damit zu tun, dass ihre Vertreter aufgrund theoretischer Überlegungen kühne Hypothesen entwerfen, die sie mithilfe neuer Instrumente einer rigorosen experimentellen Überprüfung unterziehen. Aus dem Geist solchen Vorgehens hat Ebert-Krüdener insbesondere die genaue Beobachtung, eine Vielzahl von Instrumenten – die freilich in der Kunst andere sind als in der Physik -, die Auswahl eines breit gefächerten Bildgrundmaterials und nicht zuletzt eine experimentelle Variationsneugier, die sich oft in Bildserien oder –gruppen manifestiert, in ihre Malerei übernommen.
Ebert-Krüdener ist taghelle Mystikerin. In freier Anlehnung an Musil verorte ich im Bereich der taghellen Mystik all jene Erfahrungen, die für Künstler deshalb eine besondere Herausforderung darstellen, weil sie sich aufgrund ihres nicht-begrifflichen Gehalts angemessener sprachlicher Formulierung entziehen und für unser Leben zu bedeutsam sind, als dass sie in den dunklen Räumen einer fragwürdigen Esoterik adäquat untergebracht wären. „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“ So hat Wittgenstein es treffend formuliert. Eine Malerin, deren zentrales Anliegen darin besteht, die Erfahrungen tagheller Mystik durch ihren Einsatz von Farbe zugänglich und erlebbar zu machen, wird nicht müde werden, sich darum zu bemühen, Licht auf das Unaussprechliche fallen zu lassen.
Katja Ebert-Krüdener ist also eine Farbmalerin, die ausgewählte experimentelle Fähigkeiten einer Physikerin dazu nutzt, um in ihren Arbeiten verschiedene Arten spezifischer Erfahrungen tagheller Mystik zu veranschaulichen. Die Ergebnisse können sich nicht nur sehen lassen, sie lassen vor allem etwas sehen, was wir ohne ihre Malerei so nicht sehen würden. „Art makes perceptible the indefinable quality of presence.“ (Max Cole) Indem sie ihre Betrachter zu genauer, konzentrierter und kontemplativer Betrachtung einlädt und anleitet, trägt Ebert-Krüdeners Malerei nicht nur dazu bei, die Schule des Sehens als ein erfahrungserweiterndes Projekt zu betreiben, sondern uns darüber hinaus Einsichten in Erlebnisse zu ermöglichen, die für unser Selbstverständnis ebenso bereichernd wie unverzichtbar sind.
© PD Dr. Dirk Koppelberg, März 2014
Dirk Koppelberg lehrt Philosophie an der Freien Universität Berlin. Seine Arbeitsgebiete sind Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie, Philosophie des Geistes, der Psychologie und der Psychiatrie, sowie Sprachphilosophie und Philosophie der Kunst, wozu er zahlreiche Publikationen vorgelegt hat.
Katja Ebert-Krüdener –
Painter, physicist, daylight mystic
Dirk Koppelberg
"Meaning is not only the meaning of words. My painting signifies something that only the painting can show. Its meaning lies beyond the realm of words“.
Johannes Geccelli
Katja Ebert-Krüdener is a painter, physicist and a daylight mystic. As a painter, she is interested in color, as a physicist her interests lie in conclusive experiments, and as a "daylight mystic“ (Musil) she looks for experiences that escape adequate linguistic expression. Those three interests are inextricably linked. How?
Ebert-Krüdener is a painter. Not only does she paint with colors, she paints colors. This is anything but trivial as visual artists today have a myriad of possibilities. There is no requirement to paint with colors. Ebert-Krüdener, for example, also uses digital graphics to absorb, modify and expand the questions posed by Bridget Riley. Neither is there a requirement for painters to devote themselves entirely to the exploration of the possibilities presented by color. This is precisely what Katja Ebert-Krüdener has chosen to do: the object of her paintings is the genuine exploration of color and the resulting experiences which might not be expressed exclusively, but in any case concisely, with color.
Ebert-Krüdener is a physicist. Since the dawn of modernity, the unparalleled scientific success of physics can be primarily traced back to the fact that its representatives create bold hypotheses based on theoretical considerations which they examine rigorously with new instruments. Based on the spirit of these processes, Ebert-Krüdener makes use of close examination, a multitude of instruments – which of course are different in art than they are in physics –, the selection of a vast array of basic materials for her paintings and last but not least an experimental curiosity for variation that is frequently expressed in series or groups of paintings.
Ebert-Krüdener is a daylight mystic. In reference to Musil I define daylight mysticism as all those experiences that pose an exceptional challenge for artists because they escape adequate linguistic expression due to their inexpressible content and that are too meaningful for our lives to be stored in the dark corners of questionable esotericism. "There are, indeed, things that cannot be put into words. They make themselves manifest. They are what is mystical“. This is how Wittgenstein accurately described this phenomenon. A painter whose chief goal is to make experiences of daylight mysticism accessible and perceptible will not get tired of trying to shed light on the inexpressible.
Katja Ebert-Krüdener is a painter who paints with colors and uses selected experimental possibilities of a physicist in order to illustrate different specific experiences of daylight mysticism in her art. The results are not just nice to look at, they show us something which without her paintings we would not be able to see. "Art makes perceptible the indefinable quality of presence.“ (Max Cole) By inviting and instructing her observers to practice a more concise and more contemplative observation, Ebert-Krüdener’s paintings not only help develop the "School of Seeing“ as a project that enhances experiences but they enable us to gain insight into experiences that are both enriching and indispensable for our self-perception.
© PD Dr. Dirk Koppelberg, March 2014
Dirk Koppelberg teaches philosophy at Freie Universität Berlin. His fields of work are epistemology, philosophy of science, philosophy of the mind, of psychology and of psychiatry as well as philosophy of language and philosophy of art. Koppelberg has made several publications in all of the above-mentioned fields.
Malerin, Physikerin, taghelle Mystikerin
Dirk Koppelberg
„Bedeuten ist nicht gleich Wortbedeutung. Mein Bild bedeutet etwas, was nur das Bild zeigt. Es deutet auf etwas, was sich nicht mit dem Bereich der Worte deckt.“
Johannes Geccelli
Katja Ebert-Krüdener ist Malerin, Physikerin und taghelle Mystikerin. Als Malerin ist sie an Farbe interessiert, als Physikerin an aussagekräftigen Experimenten und als „taghelle Mystikerin“ (Musil) an solchen Erfahrungen, die sich angemessener sprachlicher Formulierung entziehen. Diese drei Interessen hängen eng miteinander zusammen. Wie?
Ebert-Krüdener ist Malerin. Sie malt nicht nur mit Farbe – sie malt die Farbe. Das klingt trivial, ist es aber nicht, denn für eine bildende Künstlerin eröffnen sich heute verschiedene Möglichkeiten. Es ist nicht zwingend, nur mit Farbe zu malen - auch Ebert-Krüdener tut das nicht nur, da sie auch Versuche mit digitalen Graphiken unternimmt, die Fragestellungen von Bridget Riley aufnehmen, modifizieren und fortführen -, und es ist noch weniger zwingend, sich in der Malerei ganz und gar der Erkundung der Möglichkeiten von Farbe zu widmen. Katja Ebert-Krüdener hat sich genau dafür entschieden; der Gegenstand ihrer Malerei ist die mit deren genuinen Mitteln betriebene Untersuchung der Farbe und derjenigen Erfahrungen, die vielleicht nicht nur, aber auf jeden Fall prägnant durch Farbe zum Ausdruck gebracht werden können.
Ebert-Krüdener ist Physikerin. Der beispiellose wissenschaftliche Erfolg der Physik seit Beginn der Neuzeit hat insbesondere damit zu tun, dass ihre Vertreter aufgrund theoretischer Überlegungen kühne Hypothesen entwerfen, die sie mithilfe neuer Instrumente einer rigorosen experimentellen Überprüfung unterziehen. Aus dem Geist solchen Vorgehens hat Ebert-Krüdener insbesondere die genaue Beobachtung, eine Vielzahl von Instrumenten – die freilich in der Kunst andere sind als in der Physik -, die Auswahl eines breit gefächerten Bildgrundmaterials und nicht zuletzt eine experimentelle Variationsneugier, die sich oft in Bildserien oder –gruppen manifestiert, in ihre Malerei übernommen.
Ebert-Krüdener ist taghelle Mystikerin. In freier Anlehnung an Musil verorte ich im Bereich der taghellen Mystik all jene Erfahrungen, die für Künstler deshalb eine besondere Herausforderung darstellen, weil sie sich aufgrund ihres nicht-begrifflichen Gehalts angemessener sprachlicher Formulierung entziehen und für unser Leben zu bedeutsam sind, als dass sie in den dunklen Räumen einer fragwürdigen Esoterik adäquat untergebracht wären. „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“ So hat Wittgenstein es treffend formuliert. Eine Malerin, deren zentrales Anliegen darin besteht, die Erfahrungen tagheller Mystik durch ihren Einsatz von Farbe zugänglich und erlebbar zu machen, wird nicht müde werden, sich darum zu bemühen, Licht auf das Unaussprechliche fallen zu lassen.
Katja Ebert-Krüdener ist also eine Farbmalerin, die ausgewählte experimentelle Fähigkeiten einer Physikerin dazu nutzt, um in ihren Arbeiten verschiedene Arten spezifischer Erfahrungen tagheller Mystik zu veranschaulichen. Die Ergebnisse können sich nicht nur sehen lassen, sie lassen vor allem etwas sehen, was wir ohne ihre Malerei so nicht sehen würden. „Art makes perceptible the indefinable quality of presence.“ (Max Cole) Indem sie ihre Betrachter zu genauer, konzentrierter und kontemplativer Betrachtung einlädt und anleitet, trägt Ebert-Krüdeners Malerei nicht nur dazu bei, die Schule des Sehens als ein erfahrungserweiterndes Projekt zu betreiben, sondern uns darüber hinaus Einsichten in Erlebnisse zu ermöglichen, die für unser Selbstverständnis ebenso bereichernd wie unverzichtbar sind.
© PD Dr. Dirk Koppelberg, März 2014
Dirk Koppelberg lehrt Philosophie an der Freien Universität Berlin. Seine Arbeitsgebiete sind Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie, Philosophie des Geistes, der Psychologie und der Psychiatrie, sowie Sprachphilosophie und Philosophie der Kunst, wozu er zahlreiche Publikationen vorgelegt hat.
Katja Ebert-Krüdener –
Painter, physicist, daylight mystic
Dirk Koppelberg
"Meaning is not only the meaning of words. My painting signifies something that only the painting can show. Its meaning lies beyond the realm of words“.
Johannes Geccelli
Katja Ebert-Krüdener is a painter, physicist and a daylight mystic. As a painter, she is interested in color, as a physicist her interests lie in conclusive experiments, and as a "daylight mystic“ (Musil) she looks for experiences that escape adequate linguistic expression. Those three interests are inextricably linked. How?
Ebert-Krüdener is a painter. Not only does she paint with colors, she paints colors. This is anything but trivial as visual artists today have a myriad of possibilities. There is no requirement to paint with colors. Ebert-Krüdener, for example, also uses digital graphics to absorb, modify and expand the questions posed by Bridget Riley. Neither is there a requirement for painters to devote themselves entirely to the exploration of the possibilities presented by color. This is precisely what Katja Ebert-Krüdener has chosen to do: the object of her paintings is the genuine exploration of color and the resulting experiences which might not be expressed exclusively, but in any case concisely, with color.
Ebert-Krüdener is a physicist. Since the dawn of modernity, the unparalleled scientific success of physics can be primarily traced back to the fact that its representatives create bold hypotheses based on theoretical considerations which they examine rigorously with new instruments. Based on the spirit of these processes, Ebert-Krüdener makes use of close examination, a multitude of instruments – which of course are different in art than they are in physics –, the selection of a vast array of basic materials for her paintings and last but not least an experimental curiosity for variation that is frequently expressed in series or groups of paintings.
Ebert-Krüdener is a daylight mystic. In reference to Musil I define daylight mysticism as all those experiences that pose an exceptional challenge for artists because they escape adequate linguistic expression due to their inexpressible content and that are too meaningful for our lives to be stored in the dark corners of questionable esotericism. "There are, indeed, things that cannot be put into words. They make themselves manifest. They are what is mystical“. This is how Wittgenstein accurately described this phenomenon. A painter whose chief goal is to make experiences of daylight mysticism accessible and perceptible will not get tired of trying to shed light on the inexpressible.
Katja Ebert-Krüdener is a painter who paints with colors and uses selected experimental possibilities of a physicist in order to illustrate different specific experiences of daylight mysticism in her art. The results are not just nice to look at, they show us something which without her paintings we would not be able to see. "Art makes perceptible the indefinable quality of presence.“ (Max Cole) By inviting and instructing her observers to practice a more concise and more contemplative observation, Ebert-Krüdener’s paintings not only help develop the "School of Seeing“ as a project that enhances experiences but they enable us to gain insight into experiences that are both enriching and indispensable for our self-perception.
© PD Dr. Dirk Koppelberg, March 2014
Dirk Koppelberg teaches philosophy at Freie Universität Berlin. His fields of work are epistemology, philosophy of science, philosophy of the mind, of psychology and of psychiatry as well as philosophy of language and philosophy of art. Koppelberg has made several publications in all of the above-mentioned fields.
Keine Angst vor Rot, Gelb, Blau
Stefanie Scheit-Koppitz M.A.
Redemanuskript zur Ausstellungseröffnung von „Katja Ebert-Krüdener. Das Sehen Sehen“ am 28.6.2015 in der Art-Galerie in Siegen.
Die Ausstellung „Das Sehen Sehen“ von Katja Ebert-Krüdener stellt uns eine Malerin vor, die ihre Kunst ganz der Erforschung und Wahrnehmung der Farbe verschrieben hat. Tatsächlich konzentriert sich das künstlerische Schaffen von Ebert-Krüdener auf gegenstandsfreie, abstrakte Farbbilder in unterschiedlichen Medien und Materialien. Die Künstlerin arbeitet beispielsweise in Aquarell, Gouache oder Acryl auf Papier, Leinwand und Holz. Daneben fertigt Ebert-Krüdener strenge, schwarz-weiße Grafiken mit Tinte und Bleistift an, es entstehen auch farbige Grafiken mit Buntstift. Zudem arbeitet sie mit den Werkzeugen Computer und Fotokamera. Darüber hinaus gibt es in ihrem Werk die Werkgruppen „Klebestreifen Skizzen“ oder „Collagen“ – hier nimmt Ebert-Krüdener farbige Isolierbänder, die sie neben- und übereinander anordnet. Bisweilen greift die Künstlerin im Baumarkt zu vorgefertigten Farbkarten, die Sie in Form schneidet und zu eigenen Farbbildern montiert.
Die neue Ausstellung der Siegener Art-Galerie zeigt aus dieser spannenden Bandbreite ausgewählte Arbeiten in Aquarell und stellt eine neue Wandinstallation aus kleinformatigen Farberprobungen vor. Die Wandarbeit ist kein neues Terrain, das die Malerin betritt, ist hier jedoch in sehr eigenwilliger Form präsentiert. Erstmals fand Ebert-Krüdener bei der Hängung eine grün kolorierte Wand als Untergrund und damit als Bildträger vor – eine Herausforderung, die sie als Koloristin und Farbfeldmalerin annahm und beherzt umsetzte.
Die autonome Farbe
Alle gezeigten Werke Ebert-Krüdeners widmen sich der Farbe als autonomem und bildkonstituierendem Element. Jedes einzelne Bild lässt sich zunächst als Wahrnehmungsstudie von Farben, Farbwerten und ihrem Zusammenspiel als Farbharmonien oder Farbklängen auffassen.
Ebert-Krüdener reiht sich damit in die malerische Tradition der Koloristen und Farbfeldmaler ein. Um sich ganz auf die Farbe konzentrieren zu können entwickelten Maler der historischen Avantgarde wie beispielsweise Paul Klee oder sein Künstlerkollege Josef Albers zu Beginn des 20. Jahrhunderts, insbesondere während ihrer Lehrtätigkeit am Bauhaus, abstrakte Bildanordnungen als Gerüste für die autonom gesetzten malerischen Farbwerte; Klee erfand seine berühmten Wegenetze – auch in Auseinandersetzung mit Landschaft – Albers seine berühmten Quadrate. Einige Generationen später verdichteten Malerinnen und Maler den Bildaufbau auf elementare Rasterstrukturen, beispielsweise benutzte Agnes Martin – eine von Ebert-Krüdener sehr geschätzte Kollegin –Gitternetze, womit sie nicht nur auf die einfache Struktur rekurrierte, sondern zugleich auf eine uns in der Alltagswelt überall umgebende Elementarform. Oder Bridget Riley, die andere Grand Dame der Farbfeldmalerei, die u.a. senkrechte Streifenanordnungen gebraucht, um das Wahrnehmungspotential der Farben auszuloten.
Ziel ist bei all den genannten Vorläufern und so auch bei Katja Ebert-Krüdener, die Farbe nicht nur vom Gegenstand, von der Figur, sondern zugleich von dominierenden Flächenformen zu entbinden, damit sie möglichst frei ihre Wirkkräfte entfalten kann.
Die Aquarelle im ersten Raum weisen relativ einfache geometrische Bildgerüste auf. Wir sehen u.a. Quadratfelder oder Rhomben, auch Streifenanordnungen sowie exakte Gitterstrukturen, vorgezeichnet mit zartem Bleistiftstrich, in die hinein Farbwerte gesetzt sind. Einige Farbkompositionen zeigen reiche Farbabstufungen in Rotorange, andere in Blauschwarz. Wieder andere zeigen ein Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Farbwerte, die über Nachbarschaften hinweg farbige Beziehungen eingehen: Komplementärfarben, die sich steigern, Kalt-Warmkontraste, die die Bildflächen zum Glühen bringen. Wir folgen mit den Augen Farbklängen, die sich zu Akkorden verbünden und das Auge innerhalb des Bildrasters hin und her wandern, gar hüpfen lassen. Noch dazu ergibt sich aus den transparenten Überlagerungen von jeweils zwei geschichteten Pinselstrichen eine gewisse Tiefenwirkung.
Im nächsten Raum sehen wir diese innerbildlichen Farb-Raumbezüge verstärkt. Die Aquarelle zeigen teils breitere, teils längere Pinselstriche. Auch überlagern sich die länglichen Farbflächen kreuzweise. Zudem wirken die transparenten Farbfelder weniger homogen. Es gibt Wassereinsprengsel, Farbakkumulationen und sichtbare Pinselspuren. Als Kontrapunkte zur reinen, transluzenten Aquarellfarbe fungieren farbige Klebestreifen. Diese eincollagierten, industriell produzierten und opaken Farbstreifen bzw. Farbfelder treten in ein spannungsreiches Kräftespiel mit der Malerei.
Bei den kleinformatigen, ungerahmten Kompositionen der Wandarbeit im ersten Raum tritt das Element der Form gleichberechtigt neben das der Farbe. Die Blätter wagen variantenreichere, abstrakte lineare Kompositionen, innerhalb derer die Farbe ihre Wirkkräfte entfalten darf. Wenngleich hier die Flächenunterteilungen ihr Eigenleben führen und isoliert stehende, schlichte geometrische Formationen erprobt werden. Als Gesamtinstallation lassen diese Farberprobungen noch einmal auf übergeordneter Ebene dynamische Farbbeziehungen aufleuchten.
Das emotionale Potential der Farbe
Der Ausstellung ist ein sehr bekanntes, literarisches Zitat von Paul Klee aus dem Jahr 1914 vorangestellt: „Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler“.
Klee machte auf der berühmten Tunisreise, die er zusammen mit seinen Kollegen August Macke und Louis Moilliet unternahm eine tief beglückende Erfahrung. In der Formulierung „Ich und die Farbe sind eins“ teilt sich mehr mit, als nur die Aussage, ein Lebensthema gefunden zu haben. Hier wird ein Erlebnis einer Einheitserfahrung beschrieben.
Katja Ebert-Krüdener empfindet ähnlich, die Auseinandersetzung mit Malerei, insbesondere mit Farbe, ist ihr Lebensthema und ihre persönliche Bestimmung. Der Philosoph Dirk Koppelberg hat sie in diesem Zusammenhang sehr treffend in Anlehnung an Musil eine „taghelle Mystikerin“ genannt. Denn bei der Art von Farbfeldmalerei, wie sie Ebert-Krüdener betreibt, geht es um das Festhalten von Empfindungen und Erfahrungen, die sich der Sprache entziehen. Ebert-Krüdener vertritt die Position der Farbfeldmalerei, die neben das formale Farb- und Formexperiment einen emotionalen Inhalt stellt. Dieser Inhalt – nennen wir es in Anlehnung an Barnett Newman „das Sublime“ – teilt sich den Betrachtenden nur im Zustand der Ruhe und Konzentration mit. Wir müssen still werden, in die Betrachtung der Bilder versinken, die Farben auf uns wirken lassen. Wir müssen uns einlassen auf das Unaussprechliche, was die Bilder, die Farben, für uns bergen. Lassen sie uns jetzt damit beginnen!
Not afraid of red, yellow and blue
Stefanie Scheit-Koppitz M.A.
Speech manuscript for the exhibition: "Katja Ebert-Krüdener. Seeing how we see" on June 28, 2015 at Art-Galerie in Siegen.
The exhibition "Seeing how we see" by Katja Ebert-Krüdener presents a painter who has devoted her art entirely to the exploration and perception of color. Ebert-Krüdener’s art focuses on non-figurative and abstract color paintings with different media and materials. The artist works with watercolor, gouache or acrylic on paper, canvasses or wood, amongst others. She also does harsh black and white graphics with ink and pencil, colorful graphics with colored pencils, or uses her computer and camera to compose her pieces. Ebert-Krüdener’s work also includes the series "Tape sketches“ or "Collages“ for which the artist took colorful insulating tape which she arranged next or on top of each other. Sometimes she takes prefabricated color cards from hardware stores which she cuts into shapes and assembles to create her own color paintings.
The current exhibition at Art-Galerie in Siegen shows selected works in watercolor from the artist’s exciting spectrum and presents a new wall installation that consists of small-format color explorations. The wall piece is not new territory for the painter but takes on a very idiosyncratic form in this exhibition. For the first time, Ebert-Krüdener was faced with a green wall as background and carrier for her painting – a challenge which the colorist and color field painter dauntlessly accepted.
The independent color
All of Ebert-Krüdener’s works on display are dedicated to color as an independent and constituting element of her paintings. Every single piece can first and foremost be understood as a perception study of colors, color values and their interaction as color harmonies or tonalities.
Ebert-Krüdener follows in the footsteps of colorists and color field painters. At the beginning of the 20th century, painters of the historical avant-garde such as Paul Klee or his fellow artist Josef Albers, especially while teaching at Bauhaus, developed abstract compositions as a framework for autonomously placed painted colors in order to be able to focus fully on color. Klee invented his famous pathway networks – also in interaction with landscape – and Albers his famous squares. A few generations later, painters condensed the image composition to basic grid structures. For instance, Agnes Martin, a valued colleague of Ebert-Krüdener, uses grid lines with which she not only resorts to a simple structure but also to an elementary form surrounding us everywhere in our everyday lives. Or Bridget Riley, the other grande dame of color field painting who, amongst other things, uses vertical stripes in order to explore colors’ potential for perception.
The aim for all the above-mentioned pioneers, and as such also for Katja Ebert-Krüdener, is to liberate color not only from objects or figures but at the same time also from dominating forms in order to ensure that they can unleash their full impact as freely as possible.
The watercolor paintings in the first room show relatively simple geometrical structures. We can see, amongst other things, squares or rhombuses, stripe compositions as well as exact grid structures, sketched out with delicate pencil strokes that are filled with color. Some color compositions show rich color gradations in red-orange, others in blue-black. Others show an interaction of many different color values that form colorful relationships beyond their exact proximity: complimentary colors that come to a head, contrasts between cold and warm that ignite the painting surfaces. We can see tones that unite in chords and direct the eye back and forth within the paintings’ structures. On top of that, the transparent overlapping of two layered brushstrokes creates a certain effect of depth.
In the next room, we can see the relationship of color and space within the paintings even more clearly. Some of the watercolor paintings feature broader and others longer brushstrokes. The long color fields partially overlap in crosses. The transparent fields appear less homogenous. There are water sprinklings, color accumulations and visible traces of the brush. Colorful adhesive tape serves as counterpoint to the pure, translucent watercolor. These industrially produced and opaque color strips or fields used in the collage produce an exciting interplay of forces with the paintings.
In the small-scale unframed compositions of the wall piece in the first room, the element of form is placed on equal footing with that of color. The leaves form brave, varied, abstract and linear compositions within which color can unleash its full effect. At the same time, the individual fields have their own independent existence and explore isolated and simple geometrical formations. As an overall installation, these color explorations shed a light on dynamic color relations at a higher level.
The emotional potential of color
The exhibition is placed under a well-known, literary quotation by Paul Klee from the year 1914: "Color possesses me. I don't have to pursue it. It will possess me always, I know it. That is the meaning of this happy hour: Color and I are one. I am a painter".
During his famous trip to Tunis, which he went on with his colleagues August Macke and Louis Moillet, Klee had a deeply enriching experience. The wording "Color and I are one“ is so much more than merely a statement on having found a life’s topic. The expression describes the experience of unity.
Katja Ebert-Krüdener shares this sensation. Painting, especially with color, is central to her life and it is her personal destiny. In reference to Musil, philosopher Dirk Koppelberg fittingly described her as a "daylight mystic". Ebert-Krüdener’s type of color field painting is about capturing sensations and experiences that escape linguistic expression. She adheres to the view that aside from a formal experiment with colors and forms, color field painting also has an emotional content. This content – let us call it "the sublime" in reference to Barnett Newman - can only be perceived by the observer in a state of silence and concentration. We must be silent, sink deep into the observation of the paintings and let the colors have their effect on us. We have to engage ourselves in the inexpressible, in what the paintings and the colors yield for us. Let us now begin!
Pressetext (2013)
Die studierte Physikerin und Malerin Katja Ebert-Krüdener experimentiert mit Farbwerten. Ihr Interesse gilt gleichermaßen der Farbe in ihrer physischen bzw. physikalischen Natur wie auch ihrem emotionalen Potential. Dem malerischen Prozess liegt dabei die Frage hinsichtlich dessen zugrunde, was Farbe für unser Sehen, Erleben und Dasein leisten kann.
Die Farbkompositionen lassen sich durch eine vollkommen gegenstandsfreie Gestaltungsweise charakterisieren, die durch die Interaktion von Linie, Fläche, Farbe und Bildraum bestimmt wird.
Ebert-Krüdener setzt dem sichtbaren Duktus des Pinsels und dem zarten Farbverlauf der transparenten Aquarellfarben die opake Farbwirkung scharfkantiger Farbkarten und Tapes entgegen. Die Malerin erweist sich dabei als feinsinnige Koloristin, deren Handhabung der Farbmaterie durch große Verantwortung gekennzeichnet ist. Ihr Vertrauen in die Autonomie der Farbe ist dabei so stark ausgeprägt, dass ihre sublime Farbfeldmalerei auch im kleinen Format bestehen kann.
Aus dem Spannungsfeld der gestischen und konstruktiven Elemente entstehen Bilder, die die konventionelle Sichtweise des Bildraums gezielt unterlaufen und zu visueller Kontemplation einladen.
Als Lieblingszitat aus der Kunstgeschichte nennt Katja Ebert-Krüdener die Tagebuchnotiz von Klee:
„Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler." (Paul Klee April 1914)
Katja Ebert-Krüdener´s work explores color and geometry both in painting and drawing. I am mesmerized by the mathematical yet poetic relationships she creates among shapes and space, which allow her beautiful vibrating colors to unfold.
She is also a talented photographer, whose subjects are simple things you see in everyday life that may go unnoticed by casual passerby, but are beautifully placed in a contemplative state through her lens.
Bernadette Jiyong Frank, San Francisco 2015
She is also a talented photographer, whose subjects are simple things you see in everyday life that may go unnoticed by casual passerby, but are beautifully placed in a contemplative state through her lens.
Bernadette Jiyong Frank, San Francisco 2015